Wandeln auf Traumpfaden der Ahnen: Karnevalsfeste fallen Corona zum Opfer

Archaik mit Gänsehaut-Faktor: ein Mamuthone in Mamoida. Fotos: Ulf Lüdeke

Nuoro, 14. Januar 2022. Die ersten Karnevalsfeste des Jahres 2022 auf Sardinien fallen der Coronapandemie zum Opfer. Ein neues Dekret der italienischen Regierung in Rom verfügt, dass wegen der derzeit (auch auf Sardinien) grassierenden Omikron-Virusvariante alle großen Feste, die in der Öffentlichkeit abgehalten werden, verboten sind. Dazu zählen in Sardinien auch die Feuer, die am 17. Januar zu Ehren von Sant’Antonio Abbate entzündet werden und die Karnevalssaison für den Februar einläuten.

Die Redaktion von Sardinien Intim ist in den vergangenen Jahren oft bei den Festen dabei gewesen. Daher wollen wir unseren Lesern hier gerade in diesem Jahr nicht vorenthalten, wie die Feste ablaufen, und veröffentlichen einen etwas älteren Text an dieser Stelle, der den archaischen Karneval in Mamoiada beschreibt. Auf dass es im nächsten Jahre wieder möglich sein wird, das alles in prima persona zu erleben!

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Mamoiada. Es gibt ein Fest auf Sardinien, dass so gar nicht zum Klischee der Insel passen will, weil es nicht selten in Eiseskälte verpackt ist und Emotionen verspricht, die man überall, nur nicht hier vermutet hätte: der Karneval von Mamoiada. Der Ort ist Sinnbild der Insel für den Jahrtausende alten Widerstand der Sarden gegen alle die vielen ungebetenen Gäste, die kamen, um das Land zu erobern – und dies auch meistens schafften. Nur eben hier nicht, im Herzen der bergigen Barbagia.

Inselweite Ikone dieses bis heute verehrten Widerstands sind die mamuthones – zottelige, schamanenhafte Wesen. Sie sind den Krampussen im Alpenraum, die durch die Raunächte geistern, durchaus ähnlich.

Wie wenig die katholische Kirche diesen atavistischen Riten entgegensetzen konnte, lässt sich nicht nur beim Karneval an keinem Tag so gut beobachten wie in der Nacht zum 17. Januar, wenn zu Ehren des Ort-Patrons Sant‘ Antonio Abate vor der Dorfkirche ein riesiges Feuer entzündet wird. Der Prister umkreist am Ende der Nachmittagsmesse mit den Frauen dreimal das Feuer, bevor er es segnet. Dann, so will es die Tradition, entnehmen die Männer dem Feuer ein Scheit, um mit ihnen die zwei, drei Dutzend Feuer im Dorf zu entfachen, die die Nacht zum 17. Januar erhellen, bevor die mamuthones das Dorfzepter in die Handnehmen.

Die Flammen auf den Straßen, Wegen und Höfen knistern jedoch längst gen Himmel, bevor der Priester sein Weihwasser überhaupt verspritzt hat. Von allen drei Karnevalsfesten in Mamoiada ist jenes zu Sant‘ Antonio Abate sicher das schönste. Denn in dieser Nacht kann man sich herrlich treiben lassen bei nicht enden wollenden Zügen durch die Straßen zwischen Bars und vielen Privathäusern, deren Türen trotz eisiger Luft in dieser Nacht geöffnet sind. Und die Hausherren geben ein vorzügliches Beispiel sardischer Gastfreundschaft: An den Lagerfeuern wird schwerer, sardischer Cannonau-Rotwein und pan di saba kredenztein köstliches, würzig-süßes Früchtebrot.

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Am 17. Januar werden auf den Plätzen und Höfen in vielen Dörfern der Barbagia Feuer zu Ehren Sant’Antioni Abbates entzündet. Foto: Ulf Lüdeke

Höhepunkt ist am Nachmittag der Umzug zweier Gruppen von je 12 mamuthones, die mit archaischen Tänzen durch die Straßen ziehen, begleitet von einem Höllenlärm, den 25 Kilo schwere Glockengeschirre, die sie auf dem Rücken tragen, in die dunklen Berge hinaufscheppern lassen. Begleitet wird jede Gruppe von den issochadores – je acht elegant gekleidete Wächter, deren Anführer den Tanz der mamuthones dirigiert. Die issochadores sind mit Lassos bewehrt, mit denen sie Zuschauer fangen. Gefangen zu werden, sagt man, bringt Glück in der Liebe.

mamu2c2a9sardinien-intimEinige der Männer, die sich hinter grotesken Holzmasken der mamuthones mit Kopftuch und schwarzem Schafsfell verstecken, verfallen bei den Tänzen in tranceartige Zustände, die sie auf Traumpfaden ihrer Ahnen in der Vergangenheit wandeln lässt. Sie sprechen daher auch nicht von „Verkleiden“, sondern von „Verwandeln“. Niemand von außen darf ihnen dabei zusehen. Und niemand kann einfach nur, weil er will, ein mamuthone werden. Als mamuthone, so heißt es, wird man geboren. In der Regel sind es die Väter, die das gesamte Ritual ihren Söhnen vererben, mit dem in Mamoiada, so vermuten Anthropologen, schon zu Urzeiten Fruchbarkeitsriten zelebriert wurden.

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Archaisch und umwerfend schön: Karneval in Mamoiada. Foto: Ulf Lüdeke

Wer Sant‘ Antonio Abbate verpasst, hat immer noch die Möglichkeit, zum großen Finale an Fastnacht oder dem Sonntag davor nach Mamoiada zu gehen. Der wachsende Kultstatus des Festes hat Mamoiada im Laufe der Jahre zum Karneval in einen richtigen Pilgerort verwandelt. Wer zu dieser Zeit in den wenigen Herbergen übernachten will, die es hier gibt, muss am besten ein Jahr im Voraus reservieren. In den umliegenden Dörfern aber finden sich weitere Übernachtungsmöglichkeiten.

Ein guter Rat für Autofahrer, die gern die Tassen heben: Seit 2009 gilt in Italien die 0-Promille-Grenze. Der Lappen ist also schon nach einem Glas Wein weg. Und zum Karneval wimmelt es in dieser Gegend von Polizeikontrollen.

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