Ogliastra: Trekken im Reich der Hobbits
Das Frühjahr ist genau die richtige Jahreszeit, um durch die sardischen Berge zu trekken: noch nicht zu heiß für ausgedehnte Touren, aber schon warm genug und mit erfrischenden Ausblicken auf erste Badewonnen im Meer (auch wenn in diesem Mai die aktuellen Wassertemperaturen mit etwa nur 16, 17 Grad für sardische Verhältnisse geradezu arktisch unverschämt sind).
Zu den zweifellos schönsten Gegenden gehört der Altopiano del Golgo, der genau zwischen der Küste des Golfo di Orosei mit seinen romantischen, zum Teil von Oleander gesäumten Stränden und dem Südabschnitt der SS125 liegt, die von Tortolí nach Dorgali führt. Am nördlichen Ortsende von Baunei führt eine zum Teil recht steile, asphaltierte Stichstraße hinauf zum 400 Meter über dem Meer gelegenen Hochplateau. In der Nebensaison lässt sich diese raue, von Wasser und Wind bisweilen gespenstisch geformte Karstlandschaft meist in totaler Einsamkeit genießen. Bis auf ein paar wilde Pfade und die ein oder andere Schafherde scheint die Zeit hier oben seit Jahrtausenden stillzustehen.
Besonders faszinierend ist die Stimmung in dieser Gegend bei bewölktem Himmel. Das silbrige Blattgrün der Ölbäume mischt sich unter den auch im Mai hin und wieder noch auftauchenden Wolkenfeldern mit dem von Flechten gefleckten Hellgrau des porösen Karbonatgesteins zu einem magisch diffusen Licht, in dem zwischen knorrigen Stämmen und schroffen Felsformationen Tolkiens Hobbits sofort Wurzeln schlagen würden. Im Sommer trifft man hier im Schatten der Bäume gelegentlich auch Schäfer an, die frischen ricotta verkaufen, von dessen Qualität sie die Zufallskundschaft nur zu gern per Kostprobe überzeugen.
Mitten in der Hochebene befindet sich auch Europas tiefster Karstschlund – Il Golgo, den den Sarden Su Sterru nennen. Der in der Öffnung nur etwa badewannengroße Schlund fällt senkrecht fast 300 Meter nach unten und erreicht am Boden eine Breite von 40 Metern. Der Golgo ist durch ein Stahlgeländer geschützt, nachdem Mitte der 70er-Jahre ein Jugendlicher im Schlund zu Tode gestürzt war.
Von der Hochebene sind einige der spektakulärsten Strandbuchten der gesamten Insel je nach Kondition uns Ausgangspunkt in ein- bis dreistündigen Wanderungen zu erreichen – wie zum Beispiel Cala Goloritzé. Wie die gesamte Küste sind die Buchten nicht nur Eldorado für Strand-Gourmets, sondern auch für Freeclimber, die zum Teil aus Booten die Kletterouten beginnen (siehe unten im knackigen Viodeo – 2 min 38 sec – von Carlos Quiles). Kompetente und erfahrene Ansprechpartner für Tagestouren, Treking, Canyoning, Kletter- und Höhlentouren in der Region sind zum Beispiel Sandra Lietze und Franco Murru. (www.sugorropu.com), die neben Ausflügen verschiedenster Art auch ein Bed & Breakfast direkt am Passo Silana direkt an der SS125 oberhalb von Urzulei betreiben.
Wer als Kontrastprogramm lieber Endlos-Strand mit Bergen in der Ferne genießen will, der erreicht mit dem Auto vom Altopiano del Golgo bequem in einer halben Stunde den südlich von Tortolí gelgenen Lido di Orri – 16 Kilometern feiner, hellster Sand, gefleckt von dicken Granitbuckeln, der Horizont im Westen gespickt mit Bergen.