Dramatische Rettungsszenen, tragisches Ende Scharfe Kritik an Inselbehörden und Politik

Schockierender TV-Überblick zum Chaos auf Sardinien

Zwei Tage nach den verheerenden Regenfällen, die auf Sardinien mindestens 16 Menschenleben gefordert haben, sind die Aufräum- und Sicherungsarbeiten in vollem Gang. Während drei Opfer aus der Provinz Nuoro unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am Nachmittag begesetzt wurden, geht in der Region die Suche nach einer Person weiter, die noch vermisst wird. Die Zahl der Menschen, deren Häuser durch den Zyklon Cleopatra beschädigt oder zerstört wurden, korrigierten die Behörden von 2700 auf 2300. Während für Donnerstag neue Regenfälle vorhergesagt sind, wächst inzwischen die Kritik an den sardischen Behörden und politischen Entscheidungsträgern.

Der Vater mit seinem Sohn, die in Telti vor dem Kindergarten ertranken und die Mutter mit ihrer zweijährigen Tochter, die in Olbia in einem Smart vom Wasser eingeschlossen wurden und starben. Screenshot Website L'Unione Sarda

Der Vater mit seinem Sohn, die in Telti vor dem Kindergarten ertranken und die Mutter mit ihrer zweijährigen Tochter, die in Olbia in einem Smart vom Wasser eingeschlossen wurden und starben. Screenshot Website L’Unione Sarda

Tragische Details wurden unterdessen über den 35-jährigen Vater bekannt, der am Montagnachmittag in dem Dorf Telti rund 15 Kilometer östlich von Olbia seinen dreijährigen Sohn abholte, als er von den Wassermassen überrascht wurde. Die Fluten stiegen so schnell, berichteten regionale Medien, dass der Mann nicht mehr ins Auto steigen konnte und sich mit seinem Jungen auf eine Mauer retten musste. Er zog seine Jacke aus, band sie um seinen Sohn und seine Hüfte und versuchte eine halbe Stunde lang bei ständig steigenden Fluten, nach Seilen zu greifen, die ihm andere Eltern und sein eigener Vater von einem höheren, sicheren Punkt des Geländes aus zuzuwerfen versuchten – ohne Erfolg. Nach einer halben Stunde brach die Mauer unter dem Druck der Wassermassen zusammen. Die gesamte Gruppe musste hilflos zusehen, wie vor ihren Augen Vater und Sohn in den braunen Fluten ertranken.

http://www.youtube.com/watch?v=v1Q0MlhY95U

Die Tragödie als Nachrichten-Zusammenfassung bei  Rai Uno

Massive Kritik an sardischen Behörden und der Politik übte indes der Chef der nationalen Protezione civile (Zivilschutz), Franco Gabrielli, nachdem in Sardinien Beschwerden über eine vermeintlich unterlassene Warnung des Zivilschutzes vor dem Zyklon Cleopatra die Runde gemacht hatten. „Wir haben die Präfekturen und die Region zwölf Stunden vor dem Unwetter gewarnt, die ihrerseits die Gemeinden davon in Kenntnis setzen mussten. Fragt in jenen Ämtern nach, was sie gemacht haben“, zitierte die Tageszeitung Il Fatto Quotidianden Zivilschutz-Chef.

Der gezielte Schuss gegen die sardischen Behörden kam nicht von ungefähr. Denn erst vor einen Monat hatte Gabrielli im Umweltausschuss des italienischen Parlamentes sechs der 20 italienischen Regionen offen dafür getadelt, dass sie noch immer nicht die so genannten Centri Funazionali Decentrati eingerichtet hätten – dezentrale Einsatzleitstellen, deren Hauptaufgabe in den Regionen genau das ist, woran es in Sardinien nun gefehlt haben könnte: die Koordination der Rettungsmaßnahmen. Zu den sechs von Gabrielli beanstandeten Regionen zählt auch Sardinien.

Die Angst in Italien vor extremen Wetterphänomenen wie Cleopatra, die laut des jüngsten Klimaberichts der UNO bei fortschreitender Klimaerwärmung künftig weiter global zunehmen werden, dürfte nach der Katastrophe in Sardinien noch zunehmen, wie ein Blick auf Statistiken zu Bodenbeschaffenheit und urbaner Erschließung auf der Apennin-Halbinsel vermuten lässt. Zehn Prozent des gesamten italienischen Territoriums sind einem erhöhten Risiko von Erdrutschen und Überschwemmungen bei Extremwetterlagen ausgesetzt, heißt es im jüngsten Rapport des parlamentarischen Umweltausschusses. Fast 90 Prozent aller italienischen Kommunen sollen von diesem Risiko betroffen sein, heißt es in dem Bericht weiter.

Das Ignorieren derartiger Gefahren bei Bauprojekten beschränkt sich dabei keineswegs nur auch Privathäuser. Im Gegenteil: Jede fünfte Gemeinde in Italien hat auf diesen „Risiko-Flächen“ sogar öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser gebaut, zitiert der Corriere della Sera aus dem Bericht. Und das, obgleich sich 68 Prozent aller Erdrutsche auf europäischem Boden in Italien ereignen. Durchschnittlich seien im Zeitraum von 1900 bis 2002 pro Jahr in Italien 77 Menschen bei 39 Erdtuschen und Überschwemmungen getötet worden. Wobei die Gefahr, bei Überschwemmungen in Sardinien ums Leben zu kommen, nach Angaben des Nationalen Forschungsrats 50 Prozent über dem nationalen Durchschnitt liegt.

In der Gallura, die zu den am meisten betroffenen Gebieten des Unwetters gehört, hat die Staatsanwaltschaft aus Tempio nun angekündigt, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu prüfen, falls sich herausstellen sollte, dass die Todesfälle durch Missachtung von Bauvorschriften verschuldet sein worden könnten. Das gleiche gelte für vermeidbare Fehler bei der Organisation der Rettungsarbeiten. In die Vorermittlungen eingeschlossen ist Medienberichten zufolge auch die Stadt Olbia, in der am Montag drei Menschen ertranken. Keine andere Kommune in Italien ist seit Mitte des vorigen Jahrhunderts so explosionsartig gewachsen wie das einstige Terra Nuova (Neues Land). Olbia ist zentraler Anlaufpunkt für den gesamten Tourismus auf der Insel.

Schwere Vorwürfe gegen Sardiniens Regierungschef und Berlusconi-Zögling Ugo Cappellacci erhob dessen Vorgänger und Tiscali-Gründer Renato Soru. „Ich war selber zu Beginn dieser Legislaturperiode bei einer Parlamentssitzung dabei, bei der Politiker, deren Einfluss bis in die Gegend des reichen Arzachena reicht, darauf drängten, die Kellergeschosse der Häuser in Wohnungen umwandeln zu können. Am Montag ist eine vierköpfige Familie in einem dieser Keller ertrunken“, erboste sich Soru in einem Interview mit Radio Capital. „Und genau diese Regierung versucht ausgerechnet jetzt, den von uns aufgestellten regionalen Flächennutzungsplan aufzuweichen und fordert bei Bauprojekten eine Halbierung des Mindestabstandes von Flüssen“, moniert der Ex-Regierungschef.

© www.sardinienintim.de

Website-Screenshots von den Schlagzeilen der beiden Regionalzeitungen La Nuova Sardegna und L’Unione Sarda

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