Steinerner Wächter der sardischen Silberminen: Das Castello di Acquafredda

castello-di-acquafreddaEs gibt nur wenige mittelalterliche Schlösser oder deren Reste in Sardinien, die verhältnismäßig gut erhalten sind wie jene des Castello di Acquafredda (Foto: Ulf Lüdeke). Auf einem 160 Meter aus der Ebene aufragenden Felsbuckel vulkanischen Ursprungs scheint es bei Siliqua am südwestlichen Ende des Campidano-Beckens wie eine pyramidengroße Sphinx über die Talöffnung Richtung Westen zu wachen.

Genau das war auch die Aufgabe des Schlosses, das vermutlich um das Jahr 1200 entstand. Denn 30 Kilometer weiter westlich befand sich mit den an Silber, Zink und Blei reichen Erzminen der Bergregion des Iglesiente die Schatzkammer der Stadtrepublik Pisa, die ab 1257 nach dem Fall des Judikats Cagliari über Sardiniens Südwesten herrschte. Von der Ruine aus öffnet sich dem Besucher ein umwerfendes Panorama über das Cixerri-Tal, das bei klarer Sicht auch die großen Salinen im 25 Kilometer entfernten Cagliari und das Meer mit einschließt – gelegentlich in der Dämmerung gekreuzt von Schleierohreulen.

Gut erhalten ist von dem einst großen Schloss, das den Gipfel krönte und einst über eine Hängebrücke zu erreichen war, neben viel Mauerwerk nur noch die Zisterne, die unterhalb der Anlage um eine Quelle errichtet wurde, die noch immer Wasser führt und dem Schloss vermutlich seinen Namen gab. Nachdem die Aragonesen 1326 die Pisaner als Herrscher und Schlossherren ablösten, ging es mit der vermutlich seit 1410 unbewohnt gebliebenen Anlage bei häufigem Besitzerwechsel nur noch bergab.

Vor allem ein Name ist bis heute jedoch eng mit dem Castello di Acquafredda verbunden: Ugolino della Gherardesca, der erste schriftlich verbürgte Patron der Residenz. Der Pisaner, der einer alten sardischen Familie entstammte, übernahm im Jahr 1257 für die Stadtrepublik Pisa die Verwaltung der Minen in Iglesias und des alten Judikats Cagliari. 1284 wurde Ugolino della Gherardesca Podestat von Pisa – und damit Oberhaupt der mächtigen Stadtrepublik an der toskanischen Küste.

Ugolino della Gheradesca mit seinen zwei Söhnen und zwei Neffen im Hungerturm von Pisa. Gustave Doré, Holzschnitt (1861)

Die Ränkespiele mit den Stadtrepubliken Lucca und auch Genua jedoch, mit der die Pisaner im 12. Jahrhundert noch gemeinsam eine Allianz gegen die muslimischen Sarazenen geschmiedet und sie erfolgreich auch aus Sardinien vertrieben hatten, nahmen für Pisas Podestat ein tragisches Ende. 1288 hatte sein Gegenspieler – der pisanische Erzbischof Ruggieri – Ugolino samt zwei Söhnen und zwei Enkeln in einem Turm eingeschlossen, den Schlüssel in den Arno geworfen und damit zum Hungertod verurteilt. Die Legende von Ugolinos Ende im berühmten “Hungerturm” (Torre della Fame) ist bis heute bestens bekannt, weil Dante Alighieri sie in seiner Göttlichen Komödie verewigt hat. Laut Goethe zählen die Verse, die Dante dem Podestaten widmete, zum “Höchsten, was die Dichtkunst hervorgebracht hat”.

Im Eis von Dantes Höllenkreis auf ewig verdammt, am Schädel des Erzbischofs Ruggieri zu nagen: Ugolino della Gherardesca. Holzschnitt, Gustave Doré (1861)

Ein Wegbereiter der Fotografie, der ebenfalls aus Deutschland stammt, erlag im Frühjahr 1927 dem Bann des Castello di Acquafredda – und widmete ihm einige seiner 300 fotografischen Silberplatten, mit denen er als erster Fotograf überhaupt der Insel während seiner nur einmonatigen Reise ein visuelles Denkmal setzte: August Sander. Geplant hatte der Foto-Pionier die Reise als gemeinsames Buchprojekt mit dem Kölner Schriftsteller Ludwig Mathar. Doch es vergingen 82 Jahre, bevor die Öffentlichkeit den Großteil der Bilder überhaupt erstmal zu sehen bekam, und zwar bei einer Sander gewidmeten Ausstellung Ende 2009 in der Städtischen Galerie von Cagliari.

Dass es überhaupt zu dieser Ausstellung kam, ist vor allem einer Person zu verdanken: Giorgio Pellegrini, Cagliaris damaliger Kulturdezernent. Pellegrini, Professor für Zeitgenössische Kunst an der Universität in Cagliari und Experte für Fotografien, war 1987 zufällig in einer Regionalzeitung auf eines der wenigen Fotos von Sanders Sardinien-Reise gestoßen, die bis dahin nur einer sehr begrenzten Öffentlichkeit bekannt war. Das Projekt nahm Gestalt an, nachdem er einen seiner Studenten mit einer Diplomarbeit über Sanders fotografische Sardinienreise angesetzt hatte. Im Zuge dieser Ausstellung wurde dann sogar noch ein Buchprojekt daraus, wie Sander es mit Ludwig Mathar geplant hatte: Ausgust Sander | Sardinien – Photographien einer Italienreise, Schirmer/Mosel.

Die Ruine des Castello di Acquafredda wird von einer Kooperative verwaltet und ist täglich für Besuche geöffnet. Am Fuß des Schlosshügels gibt es Imbisse und Erfrischungsgetränke.

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